Messen und Wahrnehmen von Zeit
Um Zeit messen zu können braucht man zuallererst eine Definition von Zeit. In unserem Alltag definieren wir Zeit, als etwas unumkehrbares und gleichförmig Voranschreitendes. Dann wird in der Natur nach Vorgängen gesucht, die diesem Ideal möglichst nahe kommen, messbar und zählbar sind. Dabei ist es von großer Wichtigkeit, dass sich die Vorgänge möglichst ähnlich wiederholen. Diese periodischen Vorgänge werden dann gezählt. Es ist notwendig, den vorherigen Stand abspeichern zu können um den aktuell gezählten hinzufügen zu können. Wichtig sind also der Zeitgeber, ein Empfänger, der die Takte erkennt, und ein Speicher. Es gibt viele Möglichkeiten mit Vorgängen in der Natur Zeit zu messen. Für die meisten macht man sich die Schwerkraft zu nutze. Bei Sand- und Wasseruhren ist es eine Verengung, durch die Material von der Schwerkraft nach unten getrieben wird, die dafür sorgt, dass nicht alles auf einmal passiert. Bei der Pendeluhr ist es das Pendel, welches von der Masse der Erde angezogen wird. Durch seine Aufhängung, den Antrieb und eine Aktivierungsenergie schwingt es hin und her und erzeugt einen gleichmäßigen Takt. Bei der Sonnenuhr sind es Schwerkraft und Beschleunigung, die für die gleichmäßige Veränderung der Position zwischen Sonne und Erde verantwortlich sind. Es ergeben sich Jahre und Tage die mit einer Sonnenuhr gemessen werden können.
Wie entsteht der subjektive Eindruck von Zeit? Hat der Mensch eine innere Uhr? Funktioniert sie auf ähnlichen Prinzipien wie mechanische, oder elektronische Uhren? Wissenschaftliche Untersuchungen sind schon lange auf der Suche nach Antworten auf diese Fragen. Dass der Mensch Zeiträume von wenigen Sekunden sehr genau einschätzen kann ist bewiesen. Längere Zeiträume machen ihm Probleme. Eine innere Uhr, die im Sekunden und Minutenbereich arbeitet hat man im Gehirnaber auch nicht gefunden. Durch Experimente mit dem Ausschluss externer zeitlicher Referenzen (die Probanden liegen in einem Floating-Tank, ein Behälter mit körperwarmen Salzwasser in den weder Geräusche noch Licht eindringen) fand man heraus, dass die Körperwahrnehmung dem Zeitbewusstsein zu Grunde liegt. Im Tank hört man nichts, sieht man nichts, riecht kaum etwas; die Schwerkraft wirkt stark verringert, aber das Gefühl für den eigenen Körper tritt dafür umso mehr hervor. Der Herzschlag wird deutlich wahrnehmbar. Ich denke er ist auf Grund seiner ähnlichen Dauer zur Sekunde die wichtigste Referenz für Zeiteinschätzung in diesem Bereich). Es ist als spüre man die Zeit unmittelbar. [2]
Die Versuche mit sensorischer Deprivation zeigen aber auch ganz anderes. Im Floating-Tank ist es sehr einfach in einen Meditationszustand zu kommen da man von nichts äußerem abgelenkt werden kann. Wo im Sekundenbereich noch sehr genaue Zeiteinschätzungen im Tank möglich sind, so kann das Gefühl für längere Zeiträume in dieser Umgebung sehr leicht kippen, sodass man jegliche Orientierung verliert. In einem einstündigen Selbstversuch konnte ich nach einer Stunde nicht sagen, ob ich nun 10 Minuten oder drei Stunden im Tank verbracht hatte.
Der Floating-Tank zeigt uns, dass exakte Zeitwahrnehmung (von kurzer Dauer) nur eine Frage des Fokus ist. Die Körperwahrnehmung, die im Floating-Tank so stark hervortritt, ist in unserem Alltag übertönt von anderen Wahrnehmungen. Schon 1906 schrieb Ernst Mach in Erkenntnis und Irrtum:
Bei längerer Dauer funktioniert diese Art der Schätzung nicht, weil man dafür jede Sekunde mitzählen müsste. Es ergibt sich nur ein vages Gefühl davon wie viel Zeit wohl vergangen sei. An dieser Stelle kommen andere Zeitgeber wie z.B. das Hungergefühl ins Spiel.
Der Geologe Michel Siffre verbrachte 1962 für einen Selbstversuch zur Wahrnehmung von Zeit zwei Monate in einer Gletscherhöhle. Dort gab es keinerlei externe Zeitgeber wie Sonnenlicht oder Uhren. Er war allein auf seine Körperfunktion als Zeitgeber angewiesen. In diesem und weiteren seiner Experimente an sich selbst und anderen Personen fand er heraus, dass sich die Menschen auf längere Rhythmen von 25-50 Stunden einstellen, anstelle des gewöhnten 24 Stunden Rhythmus.
Eine andere größer angelegte Studie zur inneren Uhr wurde 1966 unter Till Roenneberg, Professor für Chronobiologie, durchgeführt. Auch hier wurden wiederkehrende Rhythmen erkannt durch die man auf einen "natürlichen" Rhythmus des Menschen schloss, der dem Menschen inhärent zu sein schien. Interessant war in diesem Versuch, genau wie in dem von Siffre, dass die Menschen die Uhrzeit langsamer einschätzten als sie tatsächlich war. Am Ende des Versuchs hatten die Probanden das Gefühl ihnen fehle die Zeit welche sich aus der Differenz der geschätzten und gemessenen Zeit ergab. Siffre beschrieb ähnliches in seinem Tagebuch:
Dass Zeit gefühlt langsam vergeht solange wenig passiert und schnell wenn viel los ist kennt jeder. Andersherum ist es wenn man auf diese Zeit zurückblickt. Zeiträume in denen viel geschah wirken lang, da sie viele Erlebnisse und Erinnerungen beinhalten. Zeiträume die von wenig Veränderung geprägt waren erscheinen nun sehr kurz, weil das Gedächtnis den Zeitraum einfach zusammenfassen kann. Ähnlich verhält es sich mit den kurzen Zeitspannen des momentanen Erlebens. In Schrecksekunden etwa ist das Erregungsniveau des Körpers erhöht, mentale Vorgänge laufen vergleichsweise schneller ab, alles was passiert wird sehr detailliert registriert, die Zeit scheint in Zeitlupe zu abzulaufen. Verlangsamt wird der subjektive Zeiteindruck z.B bei Fieber. Die innere Uhr wird durch die hohe physiologische Aktivität beschleunigt und Dauer wird überschätzt.
Kognitionswissenschaftler haben Prozessmodelle der Zeitwahrnehmung entwickelt um diese Phänomene zu erklären. In diesen sendet ein hypothetischer Zeitgeber Impulse mit einer bestimmten Frequenz, die ein Akkumulator auffängt. Je mehr Impulse Letzterer über einen gewissen Zeitraum registriert, desto länger ist die subjektive Dauer. Zwei Mechanismen bestimmen dabei die Anzahl der aufgenommenen Impulse – sprich die subjektive Zeit. Zum einen der oben beschriebene Aufmerksamkeitseffekt: Ist man abgelenkt, gehen im Akkumulator weniger Impulse ein; die Zeitdauer erscheint kürzer. Beim Warten fokussieren wir hingegen stark auf die Zeit, was sie subjektiv dehnt, weil mehr Impulse angesammelt werden. Zum anderen moduliert das Erregungsniveau den Zeitgeber: Ist die körperliche Aktivierung intensiviert, erhöht sich die Taktfrequenz. Dadurch können auch mehr Impulse im Akkumulator eintreffen.
Dies erscheint auch vollkommen schlüssig, wenn man sich den Körper als ein System vorstellt dessen Apparat zur Zeitwahrnehmung ein Teil des Systems ist. Wird am System etwas verändert, beeinflusst dies auch die Zeitwahrnehmung auf das System. Es könnte also sein, dass bei erhöhter Aufmerksamkeit und gleichzeitig erhöhter Körperaktivität die Zeitwahrnehmung völlig konstant bleibt. Daraus erklärt sich auch warum die Zeit bei Herzrasen nicht verfliegt und beim Ausruhen erheblich gedehnt erscheint. Wenn die Steigerung der Aktivitäten aber nicht gleich schnell an- oder absteigen ergibt sich eine Differenz und Zeit wird subjektiv gedehnt oder gestaucht.[5]
Referenzen:
- Thorsten Lorenz, Raum, Zeit, Medienbildung, Springer VS 2012
- vgl: http://www.spektrum.de/news/wie-unser-gefuehl-fuer-die-zeit-entsteht/1309744, 07.01.2017, 14:24 Uhr
- Ernst Mach, Erkenntnis und Irrtum, Leipzig, Verlag von Johann Ambrosius Barth 1906
- Robert Levine, Eine Landkarte der Zeit, Piper 2002
- vgl: http://www.spektrum.de/news/wie-unser-gefuehl-fuer-die-zeit-entsteht/1309744, 07.01.2017, 15:47 Uhr