Wüste
Was hat die Wüste mit Zeit zu tun? Was hat die Kunst mit der Wüste zu tun? Ist die Wüste eine riesige Sanduhr? Ist sie ein Zeitvorrat?
Wüsten entstehen vor allem an Orten mit großen Temperaturschwankungen. Diese bewirken Ausdehnungen und Zusammenziehen von Material, welches dadurch porös wird und sich in kleinere Stücke zerteilt. So wird aus einem Fels Sand. Die Wüste ist der Ort einer Monotonie. Ein Ort an dem wenige Elemente oft existieren.
Eine Geologin, die ich in der vermeintlichen Wüste in Chile traf, sagte mir die Wüste definiert sich als Ort, an dem es kein Leben gibt. Es sei aber so, dass es auf der Erde keinen Ort ohne Leben gibt und deshalb auch keine Wüste. Glücklicherweise waren die Orte, die ich besuchte dennoch wüst genug für meine Beobachtungen und Aufnahmen. Mir war es wichtig kulturlose Orte zu besuchen. Orte, an denen sich nichts Menschengemachtes vorfindet. Eigentlich wollte ich der abstrakten Zeit, der von Menschen festgelegten Uhrenzeit entfliehen. Ich hatte das Gefühl, dass diese Zeit die so unaufhaltsam gleichmäßig verfließt mich einengt, da sie keine Abweichungen zulässt. In der Stadt ist man der Uhrzeit ausgeliefert. Termine werden verpasst, wenn man sich der Zeit nicht unterordnet. Deshalb wollte ich entfliehen an Orte an denen es keine Uhrzeit gibt, um zu prüfen ob die Zeit dort kulanter wäre und mir mehr Freiheiten zulässt. Die Reise führte mich also in verschiedene Wüsten. Was ich feststellen musste war jedoch, dass die natürliche Zeit noch viel erbarmungsloser ist als die von Menschen gemachte. Gerade in den Wüsten wo die klimatischen Bedingungen nicht menschenfreundlich sind muss man sich ständig der aktuellen Tageszeit anpassen. Nachts sank die Temperatur auf minus 15 Grad celsius und tagsüber stieg sie auf 35. Die angenehmen Stunden waren kurz. Dazu kommt starke Sonneneinstrahlung (die für das schnellere Altern der Haut verantwortlich gemacht wird), Wind und Staub. Nicht umsonst ist das spanische Wort für Zeit und Wetter das Gleiche, da sich ja an der Veränderung des Wetters oder des Klimas Zeit erfahren lässt. Bliebe alles gleich, gäbe es auch keine Erfahrung von Zeit. Diese natürliche Zeit wird in der Stadt kaum noch erlebt. So ist meine Flucht in die Wüste eine Flucht vor der Flucht in die Stadt, die die meisten Menschen schon vor vielen Jahren vollzogen hatten. In der Stadt gibt es eine künstliche Zeit, die nicht mehr an Tag und Nacht gebunden ist, eine Zeit in der es Schattenspender, Heizungen, Klimaanlagen und vor allem Wände gibt, die Räume abgrenzen, in denen andere Bedingungen als die Äußeren geschaffen werden können.
Während den schier endlosen Busfahrten durch die weiten kargen Landschaften Südamerikas saß ich meist, mit dem Blick nach draußen, am Fenster während die Landschaft vorbeizog. Ich fühlte mich weder im Bus verortet, noch draußen, denn dort bewegte sich alles zu schnell vorbei, wie in einem Film oder einem Traum. Im Bus selbst war ich auch nicht, da hörte ich nur das Rattern des Motors gemischt mit Musik, oder Geräusche von Filmen die abgespielt wurden, aber da mein Blick nach draußen gerichtet war und mein Körper durch die unebenen Straßen durchgeschüttelt wurde verfiel ich in einen Zustand in dem mir die Landschaft draußen, sowie das Innenleben des Bussen irreal erschienen. Der Ort wurde aufgehoben, ja inexistent. Genauso passierte es mit der Zeit. Ich hätte manchmal nicht sagen können, ob ich seit einer oder fünf Stunden unterwegs war.
Erfahrung aus der Salzwüste
Sofort stellte sich das "Matrix"-Gefühl ein. Ein leerer Ort. Ein Ort, der bei null anfängt. In dem Objekte austauschbar sind. Das Auto mit dem ich gekommen bin wirkt wie eine Requisite, Menschen wie Spielfiguren. Die Berge im Hintergrund verstärken den Eindruck, dass das hier nicht echt ist, denn durch die Luftspiegelungen scheinen sie zu schweben. Sie sind aufgehängt und nicht anständig plaziert. Durch die Entfernung und den blauen Dunst wirken sie flach. Dieser Ort ist nicht eine Reduktion der Fülle anderer Orte, nein, der Ursprung ist das Nichts. In der Welt wird additiv gearbeitet. Stück für Stück hinzugefügt. Dieser Ort hier ist ursprünglich.
In der Wüste ist der Mensch den extremen Naturbedingungen so ausgeliefert, dass er sich zwangsläufig mit seinem Körper und dessen Funktionen auseinandersetzen muss. Die Hitze, der Wasserhaushalt, die Kälte und nichts, dass ihn ablenkt. Die Zeit der Umwelt, des Klimas: die Sonnenzeit ist noch erbarmungsloser als die Uhrenzeit. Auf die Sonnenzeit haben wir keinen Einfluss. Vielleicht kam Edward Abbey, der viel Zeit in der Wüste verbracht hat so zum obenstehenden Zitat über die Erbarmungslosigkeit dieses Ortes.
Eine der bekanntesten Arbeiten, die einen direkten Bezug mit der Zeit aufbaut ist Dalís Bild zerfließender Uhren in der Wüste. Die Uhrzeit scheint an diesem Ort keine Rolle zu spielen. Sie wird von den Gesetzen der Natur, der Hitze ausgehebelt in dem die Uhren zerschmelzen. Es gelten hier nicht die Regeln der Zeit einer Gesellschaft, sondern die der Natur.
Marina Abramovic und Ulay verharrten in einer Performance 17 Stunden in völliger Regungslosigkeit. Das Ziel war es zu anderen Erlebnisformen der Zeit zu kommen, als derer die durch die Bewegung bestimmt sind. Abramovic schreibt, es wäre wie außerhalb der Zeit zu sein.[2] Für diese Arbeit ließen sie sich stark durch Erlebnisse in der Wüste beeinflussen.
In einer solchen Starre gehen die Bezugspunkte in der linearen Zeit verloren, das Erleben des Moments tritt in den Vordergrund. Die Orientierungslosigkeit, wie sie leicht in der Wüste entsteht, ist nicht nur räumlich, sondern scheint sich auf die Zeit zu übertragen. Die Gedanken gleiten unter Einfluss extremer klimatischer Bedingungen ab, lassen sich nicht mehr greifen. Man kann anhand eines Schattens einen Zeitpunkt feststellen, aber was nützt er hier schon? Und im nächsten Moment ist er wieder vergessen.
Die Sterne an deren Beobachtung schon seit langen das Vergehen der Zeit festgemacht wurde und nach denen man den Kalender erstellt hat, sind in unserer heutigen Zeit der Lichtverschmutzung besonders in Wüsten gut sichtbar. Nancy Holt, die selbst einige Zeit in der Wüste lebte, legte in ihrer Arbeit Sun Tunnels vier Betonröhren in die Great Salt Lake Desert in Utah. Die Röhren liegen so, dass zwei von ihnen die Winter- und zwei die Sommersonnenwende markieren. In die Röhre sind an der Oberseite Löcher eingelassen mit Hilfe derer das Sonnenlicht die Sternbilder Drache, Perseus, Columba und Steinbock auf die Unterseite projiziert. Die Sternbilder die tagsüber zwar vorhanden, aber durch das Sonnenlicht unsichtbar sind, werden hier genau durch dieses wieder sichtbar gemacht.
Damit verbindet, ja verschmilzt Holt zwei Zeitrechnungssysteme, die das Jahr beschreiben: Das Zeitrechnungssystem das sich auf die Sonne bezieht und dasjenige, das den Sternenhimmel errechenbar ist. Dadurch vereint sie auch gleichzeitig die kleineren Zeitrhythmen von Tag und Nacht, indem sie während des Tages (Sonne) die Nacht (Sternenhimmel) in die Tunnels projiziert.[5]
Gerrit van Bakels Tarim Machine bewegt sich mit einer Geschwindigkeit von 18mm pro Tag durch das 1100km lange Tarimbecken im Westen der Volksrepublik China. Durch die langsame Bewegung bezieht sich der Roboter auf die Zeit der Wüste. Für den Menschlichen Betrachter scheint er sich nicht zu bewegen und doch befindet er sich am nächsten Tag ein Stückchen weiter. Die Veränderung der Position ist aber schwer zu erkennen, da es wenige Anhaltspunkte in der kargen Gegend gibt. Es ist nicht leicht zu sagen, ob sich der Sand oder die Maschine selbst bewegt hat.
Referenzen:
- Edward Abbey, Desert Solitaire, Ballantine Books 1985, Seite 35
- Marina Abramovic in Ausstellungskatalog Innsbruck 1978, o.S
- Marina Abramovic in Performance, eine andere Dimension, Berlin 1983
- Henri Bergson in Gilles Deleuze's Time Machine, D.N. Rodowick, Duke University Press 1997
- vgl: Hannelore Paflik-Huber, Kunst und Zeit, scaneg 1997, Seite 81